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Es rettet uns kein höheres Wesen...?

Marketing ist die Kunst, die Scheiße so schnell zum Konsumenten zurückzuleiten, dass er nicht merkt, dass er dieselbe Scheiße zweimal frisst...

Wir befinden uns in Eibenwald. Deutschsprachiger Raum. Ländliche Idylle. Inmitten: Eine Getränkeherstellungsfirma. Ort der Handlung: eben diese jene. Genauer gesagt: Die Lagerhalle samt integrierter Büroräumlichkeiten, drei Projektionswände, auf die ein sich selbstständig machender Werbefilm projiziert wird, der den zusehenden Akteuren ihnen nicht bewusste körperliche Pein beschert und: ein sprudelnder Mineralwasserbrunnen in der Mitte - Quell des Lebens - Quell des Kapitals.

In diesem Umfeld agiert Hopfgartner, Geschäftsführer der Firma HOPFGARTNER und Regisseur seiner selbstinszenierten Apokalypse. Sein Team: Klettner und seine Assistentin Evelyn (PR und Marketing), Haushälterin Thea (erinnert in ihrer Mütterlichkeit und ihrem Pflichtgewahrsam an die Bedienstete von Dr. Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik), Viktor Seiler (ein gewissenhafte Arbeiter) und der vom Krebs genesene und vom Alkoholismus geheilte Heinrich.

Weitere Sympathisanten: Alex Denkmeier, Journalist vom heimischen Käseblatt und Cordula Dörr, Jungärztin mit Depressionen.

Im Mittelpunkt des Geschehens, Auslöser für Höhenflug sowie Untergang steht: das “ Wunderwasser”; das Mineralwasser der Firma Hopfgartner, dem Thea heilende Kräfte zuspricht (hat es sie doch von ihrer Depression geheilt), ebenso wie es Heinrich von Krebs und Alkohol erlöst hat. Das “ WuWa” ist der große Renner. Einzig dagegen arbeitet: Gudrun Dörr, Redakteurin der Wirtschaftszeitung.

Das sind die Akteure in einem Spiel der Emotionen, der Lüge, der menschlichen Niedertracht und Profitgier rund um das WuWa. Und das alles: Im Namen des Glaubens und der Wahrheit.

Wir bewegen uns in einem Mikrokosmos der Wirtschaftstreibenden, der Werbestrategien, der Finanzkontrolle, der Profitgier, des Glaubens, der Philosophie und Anti-Philosophie; eine Welt der Medien, des Konkurrenzkampfes, eine Welt der Depressionen, Krankheiten und der Habgier. Und in einer Welt der unerwarteten Heilungen.

Wunderwasser trifft auf Übermensch.

Hopfgartner wittert das große Geld, Umsatzsteigerung muss her; Emotionssteigerung, Gier und Profitgier gehen da so nebenher, unbewusst natürlich. Indirekter Held: Das Wunderwasser. Denn das wirkt nicht nur bei denen, die daran glauben, sondern sogar bei denen, die nicht daran glauben, also bei allen.

Allein der Pfarrer versucht einzulenken. Er versucht, Hopfgartner von den geistigen Qualitäten der Natur zu überzeugen, die sich strikt an dieselben Gesetze hält, wie sie auch schon von Hammurabi in Stein gemeißelt wurden: Aug um Aug, Zahn um Zahn. Doch Hopfgartner lässt sich von ihm nicht belehren. Lieber bringt er den Herren Pfarrer mit einer gespendeten Glocke zum Schweigen und verdreht in einem philosophischen Exkurs über das “Schlechte” der Welt die Worte des Glaubensmannes solange, bis er seine Gier als notwendiges Gut des Menschen betrachten kann.

Im Stück finden sich mehr als nur biblische Anklänge: Heinrich könnte dem Lahmen entsprechen, der wieder gehen kann, Thea der Blinden, die wieder sehen kann. Hopfgartner hingegen kann interpretiert werden als Nietzsches Zarathustra, der glaubt, über die Allmacht durch das WuWa zu verfügen und (wie Nietzsche mit seinem Zarathustra) sein ganz persönliches Anti-Evangelium erschafft.

Doch dann passiert: das Unglück. Das Wunderwasser soll vom “ WoWuWa”, dem “Wohlbekömmlichen Wunderwasser“, einem Produkt der Konkurrenz vom Markt gedrängt werden. Eine Katastrophe, auf die Hopfgartner mit Gegenwehr reagiert. Und alles Geld fließt in die Bewerbung des Wunderwassers. Doch die Natur, die rächt sich, denn wie sagte der Herr Pfarrer? “Die Natur reagiert auf die negativen Handlungen des Menschen und diese finden ihren Höhepunkt im Ausbrechen von Naturkatastrophen.”

Naturkatastrophen als Ejakulation der dicksten Frau der Welt: Mutter Natur.

Naturkatastrophen als Antwort einer beseelten Natur, die menschengleich auf Emotionen reagiert .

Das Zusammenwirken der “natürlichen” Kräfte: Die Koalition der Naturgewalten. Durch ein Erdbeben versiegt die Quelle des Wunderwassers. Doch Hopfgartner ist mit seiner Gier noch lange nicht am Ende. Leitungswasser muss heimlich abgefüllt werden, wer daran glaubt, dem hilft´s schließlich auch.

Der Mensch wird doch so gern betrogen!

Doch Mutter Natur sitzt am längeren Ast: Hopfgartner erleidet im rumpelstilzchenhaften Geld-Rausch einen Herzinfarkt. Und wird mit seiner Gier dahingestreckt. Einzig das Wasser, das in einem Werbefilm als selbstständig denkendes, fühlendes und handelndes Wesen der Welt verstanden werden will, ergießt sich in einen tobenden brausenden Ozean, die Ursuppe aller Dinge.

Ein umgekehrter Schöpfungsakt, wenn man so will.

Weg vom homo sapiens, zurück zu den Pantoffeltierchen.

ZURÜCK AUF DIE BÄUME versus RAUS AUS DEN HÖHLEN könnte eine der Grundaussagen sein.

Das Wunderwasser als Heilsgeschichte der am Glauben Gescheiterten, unter dem Mahnmal der Abhängigkeit der Geheilten und der Co-Abhängigkeit der Heilenden.

Wir befinden uns in einem circulum diaboli:

Natur füttert Mensch - Mensch missbraucht Natur - Mensch zerstört Natur - Natur zerstört Mensch: ÄTSCH! - Mensch feiert Auferstehung - ÄTSCHPECK!

Die Heilsgeschichte der Zerstörung.

Der Kreislauf der Anti-Schöpfung.

Der Missbrauch der Natur, der Missbrauch des Glaubens, der Missbrauch der Hoffnung steht der Tatsache gegenüber, dass das Heilsversprechen tatsächlich eingelöst wird.

Es geht um die geistige Globalisierung des Mikrokosmos: zuhanden des Glaubens an übergeordnete Wahrheiten.

Eine der Kernfragen des Stückes ist: Wieweit ist eine Lüge, die etwas Gutes bewirkt, aber dennoch eine Lüge ist, vertretbar?

Wieweit kann das Heilsversprechen von Hopfgartner, einem kleinen selbsternannten Gott der Habgier mit Hilfe seines Hitler-gleichen Marketingchefs Klettner und dessen gehorsamer und in Liebe verbundenen Evelyn eingelöst werden?

Marketingstrategien als Regierungskonzept einer Diktatur der Angepassten.

WOLLEN die Menschen überhaupt von ihrer Dummheit erlöst werden?

Einzig Viktor Seiler besinnt sich darauf, dass auch er den Erfolg des Unternehmens mitgetragen hat; doch fehlt ihm der Mut zur Umsetzung seiner angekündigten Klein-Revolte.

Der Mikrokosmos korreliert mit dem Makrokosmos. Alles geht solange, bis es nicht mehr geht. Auf allen Ebenen. Es darf solange gebraucht, missbraucht, genutzt, benutzt und ausgenutzt werden, bis die Lüge in sich selbst zusammenbricht und ein Feld der Zerstörung hinterlässt, das durch den Mangel an Erinnerung den Nährboden für ein neuerliches Unrecht bereitet.

Ein persönliches Ground Zero, das zum kollektiven Zusammenbruch führt.

Dessen Hergang und Eigeninszenierung betulich von den Medien begleitet wird. Und das ist: nicht billig.

Medien dienen als Verstärker, als Maschinen von Bildung eines kollektiven Bewusstseins. Die Lüge wird als Wahrheit verkauft und diese Wahrheit wird umso wahrer, je mehr Menschen daran glauben. Und je mehr sie kostet. Denn nur, was viel kostet, ist viel wert.

Glaube wird mit Kapital gleichgesetzt, oder besser:

Kapital als Substitut für Glauben in einer neuen Weltordnung namens Neoliberalismus.

Hopfgartner erinnert in seiner verzweifelten Gier nach Macht und Selbstgefälligkeit an Nietzsches Seiltänzer, der in angeblich zoroastrischer Weisheit die Diktatur des Mikrokosmos aufrecht erhält, von oben herab reglementiert und durch seine narzistische Selbstüberhöhung damit den Glauben an das “Heil” rechtfertigt.

Weiteres Thema: Depression als Zivilisationskrankheit. Depressionen treten nur in einem von innen oder von außen gestörtem System auf.

Das System des 20./ 21. Jahrhunderts: die kollektive Einsamkeit.

Cordula Dörr, die als dea ex machina gegen Ende des Stückes die Parteien gegeneinander ausspielt, kann ebenso als femina clausa im Sinne von Norbert Elias` Gesellschaftstheorie der 80er Jahre gesehen werden wie Thea, die zwar in ein soziales Umfeld integriert ist, dennoch aber einsam und von Depressionen geplagt war.

Der Autor lässt diese vielen Ebenen gleichzeitig miteinander und gegeneinander spielen, solange, bis das Spiel vollendet ist und dennoch immer noch weitergeht.

Es gibt einen eindeutigen Gewinner, und das: ist nicht der Mensch.

Ist es die Natur?

Ist es der Glaube?

Ist es Gott?

Ist es das, was war, bevor die Wirtschaft die Politik und den Glauben diktiert hat? Den Menschen? Das vormals tobende und rauschende, nunmehr still gewordene Vermächtnis der Natur?

Die Spirale der Wiederholung und der Wiederholbarkeit, denn: Das Spiel beginnt von Neuem. Aber wie lange noch? Solange, bis die Natur gelernt hat, mit uns umzugehen? Oder umgekehrt...?

Am Schluss der Tod und die tobende See. Mahnender Ausblick oder Hoffnung auf einen neuen Untergang? Oder umgekehrt...?

Hoffnung auf Besserung durch Besserung?

Oder löscht die Zerstörung auch alles aus, was je im Spiel des Lebens gesagt wurde?

Das Drama des kleinen Gottes, des Übermenschen:

Gott ist tot (Nietzsche)

Nietzsche ist tot (Gott).

Der Sieger: Die Natur, die sich hinweggesetzt hat über die kleingeistige, Kapital-ist-gleich-Erlösung verheißende Scheinwelt der Protagonisten.

Das Wasser als Urquell allen Lebens, allen Seins.

Das Erdbeben, das dieses Wasser versiegen lässt, ausgelöst von der Kulmination aller menschlichen Verfehlungen, das das Gleichgewicht wieder in Ordnung bringt.

Erde gegen Mensch. Erde gewinnt.

Wasser gegen Mensch. Wasser gewinnt.

Mensch gegen Natur: Mensch verliert.

Und das ist wahrscheinlich auf lange Sicht auch besser so.



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