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Schöne Aussichten in der Bar der Hoffnungslosigkeit

Ort der Handlung ist eine Animierbar. Frei nach dem Motto „der Held und sein Wetter“ deutet die Regenstimmung draußen auf die trübe Lage im Inneren, auf die Atmosphäre im Raum und die Gemütsverfassung der Figuren. Langeweile ist ausgebrochen. Stammgast Arnold unterhält das Animiermädchen Mijou und die Bardame mit zotigen Reimsprüchen, die er aus dem Internet herunter geladen hat. Ein Durchschnittsbürger mit ebensolchem Kulturverständnis und als freizügiger Cocktail-Spender gern gesehener Gast. Das hält die arme Haut und müde Mijou gerade noch bei Laune, auch wenn sie mit ihren Gedanken längst beim bevorstehenden Elternsprechtag ist.

Auf einem Stuhl schläft der eben 50 Jahre alt gewordene Poet im Schnapsdelirium, bis er erwacht und sich in Szene setzt. Eine kauzige Figur. Altbacken zitiert er Goethe, den schwäbischen Spätromantiker Ludwig Uhland, Tschechow, Moliere, Löhner-Beda und andere Namen aus der Bildungsschublade. Ein abgehalfterter Bohemien, der als Liebhaber der Künste die Bewunderung seiner naiven Zuhörerschaft am Ort profaner Triebhaftigkeit auf sich lenkt und der mit Anreden wie „Frau von Stein“ oder „Comtesse“ die illustren Damen adelt. Köstlich klingen hier Assoziationen zu Grazer Lokaldichtern durch.

Zwischen Rausch und Realität pendeln seine Gedanken über göttliche Musik und traumwandlerische Himmel-Höllen-Fahrten durch den Kosmos. Schwülstig sein sprachlicher Habitus, lehrhaft die philosophischen Geistesblitze. Zwischendurch taucht die komische Figur eines stotternden jungen Terroristen auf, der den Zorro im Rotlichtmilieu abgeben möchte und als Auftakt für einen Schwenk ins Krimigenre dient. Denn als Zuhälter Charly in die Bar stürmt, verfolgt von einem pflichtbewussten, einfältigen Polizistentrio, wird klar, dass ein Mord passiert ist.

Eine verdichtete Mikro-Welt beschreibt das Kammerspiel „Nächtliche Poesie“ in zwei Akten. Mehr oder minder tragische Gestalten finden sich in der trostlosen Bar ein, die als oknophile Zufluchtstätte Randbewohnern eine Heimat bietet. Komik, Absurdität und das Aroma der Verlierer strömt dieses zwischen den Polen von Sinn und Unsinn, Himmel und Hölle balancierende gesellschaftliche Panoptikum aus. Und immer wieder kommt der Tod als „Ergänzung zum Leben“ ins Spiel. Ein Markstein im schwülen Dunst von Wein und Weibern, philosophischer Kern des Underdog-Dramas.

Die zentrale Rolle nimmt der Poet ein. Ein Anti-Held mit messianischen Zügen. Einer, der an der Welt zugrunde gegangen ist und nach dem höheren Sinn dahinter sucht. Für die Bardame steigt er zum geliebten Erlöser auf, der den tristen Lebensraum des Animierlokals mit mythischen Qualitäten erhellt. Kunst wird zur Quelle der Erneuerung, weckt Lust auf Ferne, Ausbrechen aus der Umklammerung bedrohlich vertrauter Lebensgefühle. Eine Maria Magdalena, die sich aus ihrem Halbschattendasein zu einem Neubeginn aufmacht.

Wird die Lasterhöhle zur zweiten Haut ihrer Bewohner und steht dieser Raum-Typus als Metapher für die derzeitige Lebenssituation der Protagonisten wie ihrer Befindlichkeiten, korrespondiert die Bar auch mit dem Ist-Zustand der Gesellschaft. Eine verrohte, dem Verfall preisgegebene Zeit, in der bloße Fleischlichkeit und blanker Materialismus regieren. Nicht umsonst wird Nero im Untergangs-Szenarium zitiert.

Als Kreuzritter wider die Dekadenz tritt der Terrorist in Szene. Eine alttestamentarische Figur, die nach dem Motto „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ zum Rachefeldzug aufbricht. Wobei der wild gewordene Stadtindianer schließlich selbst zum Opfer der Gewalt wird.

Auf ganz anderer Ebene spielt sich der (geistige) Krieg zwischen dem Poeten und Charly ab. Der hat ihm die Gedichte-Mappe gestohlen und vernichtet. Für einen Zuhälter bedeutet der Besitz einiger Zeilen aus unpopulärer Feder kaum einen materiellen Wert und lässt sich auch als erpresserischer Schachzug schwer verwerten. Betrachtet man Kunst jedoch als Möglichkeit freier und schöner Existenz, wird klar, woran sich Charly tatsächlich gestoßen hat. Nämlich an der für einen Kulturverachter unerträglichen Ästhetik, die reine Körperlichkeit zugunsten eines geistigen Freiheitsraumes überwindet. Insofern lauert hinter der Poesie die weit größere Gefahr als hinter dem schnell eliminierbaren Möchtegern-Terroristen.

Kaum hat der Poet sein Werk vollbracht – Charly mit einem Stuhl niedergeschlagen und die Bardame bekehrt –, verschwindet er aus dem Geschehen wie eine flüchtige Begegnung. Auch im Finale wird die durch den Dichter repräsentierte Kunst zum Symbol moralischer Verantwortlichkeit: Sie leistet Widerstand gegen Bewusstseinsvernichtung, setzt Impulse, wirkt schützend vor der düsteren Außenwelt und bietet sich dennoch nur als Fluchtzone in eine imaginäre Welt der Sicherheit an. Als Teil menschlicher Existenz gräbt sie die Archäologie der Seele aus. Für den Ausgang des Geschehens und die Architektur der Zukunft sind allerdings die Handelnden verantwortlich. Kunst an sich dient nur als Sandkastenspiel, ob im Kopf oder auf der Bühne.



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