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Sehnsucht nach dem Himmelsblau

Ernst M. Binder holt in Graz nicht „Das Blaue vom Himmel“. Er zelebriert ein leidenschaftliches „Hochamt“ für Europa.

Eine düstere Weltsicht präsentiert der außergewöhnliche Theatermann in „Das Blaue vom Himmel“. Ein „Hochamt“, dem als Premierengast auch LH Waltraud Klasnic beiwohnte. Mit Spaßkultur hat Ernst Marianne Binder nichts am Hut. Mehr mit Bitterkeit. Ein großer Sohn der grünen Mark, dem im Ausland bislang mehr Ehre gezollt wurde als daheim. Heuer im April inszenierte er im Rahmen der Mülheimer Theatertage Elfriede Jelineks „Wolke drei“ (die österreichische Erstaufführung ist für September im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten geplant). Großartig das Echo in Deutschland. Bestens sein Draht zur Literaturnobelpreisträgerin, deren Werke der Dramatiker und Regisseur schon mehrmals auf die Bühne gebracht hat. Eine stolze Leistung war Jelineks Montage „Körper und Frau“ (mit Juliane Werner), 2002 im Grazer Museum der Wahrnehmung uraufgeführt. Längstens gebührte dem immer wieder für Überraschungen sorgenden Künstler aus der Oberliga nicht nur ein Platz im „steirischen herbst“.

Schwermut lastet über der Uraufführung im Grazer „Next Liberty“. Unsägliche Trauer durchflutet den Raum, lässt erstarren. Ernst M. Binders „Das Blaue vom Himmel“ ist zwar eine Koproduktion von „dramagraz“ und „La Strada“. Doch mit der meist fröhlich bunten Volkskultur des Internationalen Festivals für Straßen- und Figurentheater hat dieser avantgardistische Geniestreich nichts gemein. Großartig, dass man sich bereits im Vorjahr mit Binders in der Folge vom österreichischen Kunststaatssekretariat prämierten „Lullaby“ erstmals den Luxus einer sperrigeren Abzweigung vom gemütlichen Unterhaltungsweg leistete. Heuer wird von den Zuschauern gar eine geistige Gipfelbesteigung abverlangt, bei der das Blaue vom Himmel nur bildlich greifbar ist. Atmosphärisch wecken dunkle Wolken Ahnungen von der Kläglichkeit der menschlichen Existenz.

Als „traumwandlerische Suche nach dem Leben hinter dem Leben“ will Binder sein Werk verstanden wissen. Und es geht um „europäische Identität“, Auseinandersetzung mit Geschichte. Ein Mahnmal im Erinnerungsjahr, das der Jugendlichen gedenkt, die von der Deutschen Wehrmacht 1943 in Kalavrita ermordet wurden. Ein Requiem für Europa, wo Begleiter Tod immer präsent ist. Genesis und griechische Mythologie, gregorianische Choräle und Balkanweisen mischen sich mit dampfender Kaffeemaschine und Alltäglichem. Wobei die Sicht verschoben ist, die auftretenden Figuren aus Zeit und Raum fallen, keine Kontrolle mehr über ihr Leben haben. Neben virtuellen Archetypen wie Diana (Eva von Heijningen) und einer schwangeren Kassandra (Natasa Mirkovic-DeRo) tritt der Autor und Regisseur stumm als „weiß auch nicht“ auf, während Ulrich Hoppe in der Erzählerrolle „egal, wer“ poetisch bannt. Reiseführer Rudi Widerhofer begleitet durch den Dschungel philosophischer Nachdenklichkeit als nackter Springinsfeld „Pivot“, der die Kindlichkeit und Einsamkeit eines Kaspar Hausers ausdünstet.

Mit Euripides-Zitaten, Beatles-Songs, Drehleierspieler Matthias Loibner, Kompositionen von Josef Klammer, dem Chor unter Ulfried Stabers und multinationalem Stab webt die anspruchsvolle Produktion ein emotionales Netz bestürzender Leere und Unvollkommenheit. Nur ein paar Sehnsuchtsblitze nach Liebe geben den Blick auf Wesentliches frei, wo wir nicht hinter uns selbst herjagen.


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